An zwei weit auseinanderliegenden Orten im öffentlichen Raum stehen sich, gerade noch in Sichtweite, zuerst zwei Performende, dann allmählich zusammen mit partizipierenden Mitspielenden, zwei Gruppen gegenüber. Die Distanz zwischen ihnen ist so gross, dass sie sich gerade noch als einzelne Personen wahrnehmen. Über Zurufen versuchen sie, die zwischen ihnen liegende Distanz aufzuheben. Auf jeder Seite ertönt über ein Zuspielband eine geräuschhafte Musik aus speziellen weitreichenden Richtlautsprechern. Die Klangskulptur thematisiert den überdimensionierten Abstand zwischen Klangquelle und Hörer. Sie sucht das unvorhersehbare Zusammenspiel mit den Störungen durch Geräuschvolleres oder der Überlagerung durch Windgeräusche. Die Klangfarbe des Zuspielbands wird durch die konzeptuelle Auswahl von Klängen des „Draussen“ geprägt. Verfremdet und fragmentiert setzt sie sich aus Glockenklängen, Schiffshörnern, Sirenen und Vogelrufen zusammen. Pausiert einer der beiden Rufchöre und verharrt erschöpft auf eine Antwort des fernen Gegenübers wartend, oder bündelt neue Kraft für ein weiteres vokales Signal, ertönt vom Zuspielband auf der eigenen Seite ein zweiter Geräuschkomplex. Dieser dynamisch gewebte Teppich fügt sich aus akustischen Ereignissen, die inhaltlich-örtlich zum fernen Gegenüber gehören. Auf eine magische Weise scheinen diese Klänge so die unüberbrückbare Distanz zum „Anderen“ aufzuheben.
Im öffentlichen Raum erzeugt die Klangskulptur verschiedene grossräumige Klangereignisse, die sich aus den örtlichen Konstellationen des Settings ergeben – an beiden Orten der Rufenden und im gesamten Bereich zwischen diesen sowie mit zufälligen Mitspielern wie Wind, Regen und alltäglichen Geräuschen der Stadt.
Die Versuchsanordnung thematisiert die Selbstverständlichkeit, mit der wir davon ausgehen, dass wir im Vorgang des Ansprechens den „Anderen“ – akustisch und inhaltlich – erreichen. Der Akt des Rufens wird von den ersten beiden anwesenden Performer: innen mit Worten der mythologischen Figuren Echo und Narziss aus Ovids Metamorphosen aufgebaut. In „der und die“ von Ernst Jandl kommen sich zwei Personen immer näher. Was im Gedicht gelingt und in der Vereinigung zu grösstmöglicher Nähe führt, bleibt in der Performance ein unerfülltes Begehren. In einem Kraftakt wird rufend versucht, die grosse Entfernung zu überbrücken und hörend, etwas vom Echo des Gegenübers zu verstehen. Das gelingt nur bedingt und mit grösster Anstrengung. Die Rufenden bleiben sich fern und auf sich selber zurückgeworfen. Nachdenklich verklingt die Performance mit dem Gedicht „nun“ von Ernst Jandl.

